„Finanzielle Souveränität“

Vorschlag für ein neues Leitbild des finanziellen Verbraucherschutzes

Wer sich mit der finanziellen Situation der Bürgerinnen und Bürger beschäftigt, findet eine Situation vor, die in vielen Bereichen desaströs ist: Die ärmere Hälfte der Bevölkerung hat mit 6.000 € kaum Vermögen (dabei ist das Auto schon eingerechnet) und hat zudem noch Schulden. Sparen ist dann kaum ein Thema. Eine ernsthafte finanzielle Risikotragfähigkeit ist zudem nicht gegeben. Denn bei unerwartetem Finanzbedarf muss das Geld verfügbar sein.

Um dieser Bevölkerungshälfte finanziell zu helfen, reicht es nicht aus, etwa singulär eine staatlich geförderte Altersvorsorge zu ermöglichen, nach mehr Transparenz zu rufen oder „Finanzbildung“ an den Schulen einzufordern.

Es bedarf stattdessen dafür zu sorgen, dass alle die eigene finanzielle Situation souverän gestalten können. Es geht darum, den Zugang zu den Finanzprodukten zu bekommen, die wirklich notwendig sind und Produkte zu bekommen, die auch bezahlbar und verständlich sind. Es geht darum, die eigenen Rechte und Pflichten zu kennen. Es geht darum eine echte souveräne Planbarkeit zu erreichen.

Es hilft nicht, darauf zu verweisen, dass man auch mit wenig Geld in einem ETF rentabel ansparen könnte, wenn allein die Gebühren für ein Bankkonto die Rendite um zwei Prozent mindert. Es hilft nicht, eine selbstfinanzierte betriebliche Altersvorsorge anzupreisen, wenn dort zwar ein wenig Geld angespart wird, an das man aber eben nicht herankommt, wenn es darauf ankommt. Denn wenn man wegen einer kaputten Waschmaschine den Dispositionskredit in Anspruch nehmen muss, fressen zweistellige Zinsen die kärglicheren Renditen der Vorsorge.

Finanzielle Souveränität heißt, dass „man die Finanzen im Griff hat“, egal ob diese hoch oder niedrig bemessen sind. Es heißt, nicht überrascht zu werden, wenn die nächste Rate abgebucht wird. Und es heißt zu wissen, wie man auf ungerechtfertigte Forderungen reagieren muss – egal ob die von der Bank oder dem Fiskus erhoben werden.

„Finanzielle Souveränität“ betrifft alle.

Auch die Mittelschicht steht vor dem Problem fehlender Souveränität. Die wenigsten verstehen, welche Finanzprodukte sie bezahlen. Hohe Stornoquoten bei Lebensversicherungen (der Großteil aller Verträge wird gekündigt und landet im Renditenirwana) sind nur ein Beleg dafür. Unübersichtliche Kredite, Abos und Versicherungen lassen jeden oft im undurchdringlichen Nebel stehen. Unverständliche Steuerregelungen und Finanzprodukte, die einem Steuerentlastung versprechen (und oft nicht halten) lassen die meisten zudem verwirrt verzweifeln.

Diejenigen die ein bisschen mehr Geld haben, geraten wegen finanzieller Fehlentscheidungen nicht unbedingt in die Pleite. Sie haben dann „nur“ weniger Geld und stehen schlechter da. Aber die fehlende Souveränität mit Geld „vernünftig“ umgehen zu können, belastet auch diese Mittelschicht (oder auch die mit richtig viel Geld).

Der Ruf nach „Finanzbildung“ – oft ein Reflex in den politischen Diskussionen – ist in der Diskussion um finanziellen Verbraucherschutz ein gefährlicher Ratschlag. Suggeriert er doch, als wären alle, die die finanzielle Souveränität verloren haben, selbst daran schuld. Das ist aber nicht der Fall. Egal ob jemand nur 6.000 Euro hat, 150.000 Euro oder eine Million. Sich in dem Gewirr zwischen Finanzprodukten, unzähligen Verträgen und Verpflichtungen, undurchschaubaren Steuerregelungen und den eigenen rechtlichen Möglichkeiten zurecht zu finden, gelingt kaum jemandem. Der Normalfall ist ein Ausgeliefertsein.

Diejenigen mit wenig Geld sind vermutlich sogar gerade diejenigen, von denen die anderen lernen können. Diejenigen, bei denen 6.000 Euro Unterschied die gesamte Existenz ausmacht sind gezwungen, das höchste Maß an finanzieller Souveränität zu erreichen. Die eher wenigen dieser ärmeren Hälfte der Bevölkerung, die dann daran scheitern sind dann aber diejenigen, die sichtbar werden – etwa in den Schuldnerberatungen.

Wer etwas mehr Geld beiseitegelegt hat, landet bei finanziellen Fehlentscheidungen nicht in der Schuldnerberatung. Trotzdem ist der Verlust schmerzhaft und bitter. Und hinzu tritt für diese dann ein Gefühl des Versagens – man hätte ja nicht genug „Finanzbildung“ bewiesen. Ein Verheimlichen eines finanziellen Versagens – vor anderen und vor sich selbst – verstärkt das Gefühl der fehlenden finanziellen Souveränität.

Finanzieller Verbraucherschutz bedeutet nicht, nur günstige Finanzprodukte oder ein Provisionsverbot zu fordern. Er bedeutet nicht, paternalistisch Blaupausen für vermeintliche Lösungswege zu entwickeln. Er bedeutet nicht, nur dafür zu sorgen, dass diejenigen die vor der Insolvenz stehen ein wenig Beratung und Unterstützung bekommen.

Finanzieller Verbraucherschutz bedeutet dafür zu sorgen, dass alle eine echte Chance haben zu verstehen, was mit ihrem Geld geschieht, dass alle eine realistische Chance haben, ihr Recht zu bekommen und dass alle ihren finanziellen Spielraum realistisch einschätzen können.

Es geht darum, nicht mehr der eigenen finanziellen Situation ausgeliefert zu sein. Es geht darum, eine finanzielle Souveränität zu erlangen.

Warum dieser Vorschlag eines neuen Leitbildes?

Es war ein Schock für mich, im Rahmen einer Studie mit Finanzwende Recherche zu verstehen, dass die ärmere Hälfte (!) der deutschen Bevölkerung gerade mal auf 6.000 Euro Vermögen zurückgreifen kann.

Schon lange bin ich im Verbraucherschutz unterwegs und kämpfe gegen schlechte Riesterrente. Ich kämpfe gegen überhöhte Provisionen bei Vermittlern und fehlende Transparenz in den Unterlagen, die Verbraucher in die Hände bekommen, wenn sie einen Vertrag abschließen. Schon lange versuche ich Verbraucher davon zu überzeugen, dass es sinnvoller ist in flexiblere und renditestärkere Finanzprodukte zu gehen, wenn es darum geht Geld anzusparen. Schon lange.

Auch ich bin früher den „Wirtschaftsliberalen“ gefolgt und habe etwa argumentiert, dass ja jedem Menschen vermeintlich renditestarken Angebote zur Verfügung stehen. Das stimmt. Nur diese Angebote helfen eben nicht in der individuellen Situation, wenn man etwa nur 6.000 Euro zur Verfügung hat.

Als jemand der den „mündigen Verbraucher“ propagierte, erklärte auch ich früher, dass bei überbordend komplizierten Produkten mit umfangreichen Verbraucherinformationen gegengehalten werden könnte. Aber die Folge ist dann ein ziemlich perfides Narrativ: Wer das dann nicht versteht und trotzdem einen schlechten Vertrag abschließt, der wäre ja dann selbst daran schuld. Tatsächlich ist es aber oft gar nicht möglich diese Produkte wirklich zu verstehen.

Mit einigen Jahrzehnten Erfahrung im Verbraucherschutz muss ich nun feststellen: Wir müssen uns davon verabschieden, dass jeder die gleichen Chancen hat sich finanziell gut zu stellen. Die Finanzwelt, wie wir sie vorfinden, erlaubt nicht allen ein großes Vermögen zu erreichen. Sie erlaubt es noch nicht einmal wirklich allen zu verstehen, was mit dem Geld passiert, das man investiert.

Es wird nicht gelingen, alle reich und wohlhabend zu machen. Es wird nicht gelingen, dass alle eine gute Altersvorsorge ohne Minderung des Lebensstandards bekommen. Aber es kann gelingen, dass alle im Rahmen ihrer Möglichkeiten das Beste aus ihrer Finanzsituation machen.

Nach Veröffentlichung der Studie von Finanzwende habe ich viel mit unterschiedlichsten Menschen diskutiert. Dabei ist mir immer deutlicher geworden, dass die Diskussion an einzelnen Symptomen der desaströsen Situation alleine nicht ausreicht. Wir brauchen ein Leitbild – realistisch und ideologiefrei. Ich hoffe, dass es mir gelingt, mit dem Ruf nach „Finanzieller Souveränität“ einen Beitrag zur Diskussion beizutragen.

Unser Geld ist zu viel wert, als dass wir uns schutzlos der Finanzwelt ausliefern. Lasst uns dafür kämpfen, dass alle eine „Finanzielle Souveränität“ erreichen.

Berlin, Juli 2025

Link zur Studie von Finanzwende Recherche