Macht das Nutzen oder kann das weg? Millionen Lebensversicherungsverträge vor der Rückabwicklung?

Manchmal verkauft man sich. Damit meine ich, man kauft etwas, was man eigentlich gar nicht braucht. Wie viele Klamotten hat man im Schrank, die man nur einmal angezogen hat? Wie oft greift man zu vermeintlichen Leckereien, die dann im Kühlschrank verkommen? Und wie viele Versicherungen hat man abgeschlossen, die man am Schluss gar nicht gebraucht hat?

Bei den kleinen Erwerbungen ist das nicht so schlimm. Die muss man dann als Fehlgriff abschreiben. Bei den großen Einkäufen haben Verbraucherschützer in vielen Fällen dafür gesorgt, dass man den Fehlkauf rückgängig machen kann.

Bei Versicherungen – und ganz besonders bei Lebensversicherungen – gibt es so einige Regelungen, die dabei helfen, den Vertrag wieder loszuwerden. Von der Branche und vielen Vermittlern unbemerkt, gibt es seit gut 5 Jahren zusätzliche Regelungen, die hier helfen könnten.

Unter dem sperrigen Begriff „Product Oversight and Governance“ hat Europa dafür gesorgt, dass Lebensversicherungsprodukte einem gewissen Qualitätsstandard entsprechen müssen. Auf Englisch wird das mit dem Begriff „Value for money“ umschrieben.

Die deutsche Aufsicht hat diese europäische Regelung lange Zeit ignoriert. Die europäische Aufsichtsbehörde EIOPA hat aber dann Druck gemacht. Die Folge: Mit einem Merkblatt hat die BaFin letztes Jahr konkretisiert, welcher „Kundennutzen“ bei einem Produkt vorliegen sollte. Unter anderem müssen solche Produkte zum Beispiel eine genügend hohe Rendite erwarten lassen.

Das hat die Finanzwende Recherche Anfang des Jahres untersucht. Für aktuelle Produkte zeigt sich: Fast nie liegt ein hinreichender Kundennutzen vor!

Nach der europäischen Regelung darf aber eben genau das gar nicht der Fall sein. Ausdrücklich heißt es da: Die Lebensversicherer „bringen Versicherungsprodukte nicht auf den Markt, wenn sich aus der Produktprüfung ergibt, dass diese den ermittelten Bedürfnissen, Zielen und Merkmalen des Zielmarktes nicht entsprechen.“

Einfach heruntergebrochen: Wenn kein Kundennutzen vorliegt, darf das Produkt nicht verkauft werden.

Derzeit diskutiert die Aufsicht, wie man diesen Value for money messen kann. In einer Konsultation konnten jüngst Fachleute und Verbände ihre Meinung dazu äußern. Auch ich habe hier deutlich gemacht, wie mit diesem Value for money umgegangen werden sollte.

Wenn in den letzten Jahren die Produkte ähnlich gut waren, wie die aktuellen, dann kann man davon ausgehen, dass einige Millionen Verträge gar nicht hätten verkauft werden dürfen! Dann könnten diese Verträge womöglich auch rückabgewickelt werden.

Nach der Devise „was nutzlos ist gehört auf den Müll“, könnten dann Millionen von Lebensversicherungsverträgen auf den Abfallhaufen geworfen werden…

Links:

Stellungnahme von Dipl. Math. Axel Kleinlein zur Konsultation der EIOPA (auf Englisch)

Die Studie der Finanzwende Recherche

Das Merkblatt der BaFin

„Product Oversight and Governance“ (auf Deutsch)